Von Dr. Anke Rees
Das reetgedeckte Fachwerkgebäude besteht aus elf einzelnen, ebenerdigen Wohnungen. Caspar Voght ließ diese Budenreihe von 1786 bis 1798 für seine Tagelöhner errichten. Sie waren zuständig für die landwirtschaftliche Arbeit auf seiner „ornamented farm“, von der ein Teil der heutige Jenischpark ist. Um ganzjährig über Arbeitskräfte zu verfügen, versuchte Voght, die Männer und ihre Familie langfristig an sein Gut zu binden. Dafür bezahlte er ihre Zwölf-Stunden-Arbeitstage und die ihrer Frauen und Kinder überdurchschnittlich. Bei Krankheit wurden die Arztkosten übernommen und der Lohn zur Hälfte weitergezahlt. Die Arbeiter konnten zudem gegen eine geringe Miete „Insten“ werden, das heißt „Insassen“ einer dieser 24,5 Quadratmeter-Häuser. Sie bestanden aus einem Zimmer mit Küchenzeile, Wandbett und Flur.
Baron Caspar Voght (1752-1839) stammte aus einer reichen Unternehmerfamilie. Er war ein Sozialreformer, der sich gegen das Elend der Armen in Hamburg einsetzte, Suppenküchen und Sonntagsschulen gründete und dafür europaweit geschätzt wurde. Man rief ihn zur Verbesserung des Armenwesens nach Wien, Berlin und Paris. Sogar in den Adelsstand wurde er für seine Errungenschaften gehoben. Er begeisterte sich für modernen Ackerbau und die Ideale der Aufklärung. Daneben tätigte er als Inhaber eines Handelshauses einträgliche Geschäfte in Übersee mit Leinen, Seide und Getreide sowie Kaffee, Tabak und Kautschuk – im Wissen um die skrupellosen Praktiken, die damals damit verbunden waren und deren Anwendung. Auch wenn diese geistige Haltung und ein solches Geschäftsgebaren aus heutiger Sicht unvereinbar erscheinen, war Voght in jener Zeit keine Ausnahme: Die weißen, wohlhabenden und gebildeten Männer aus Europa übertrugen die Ideale von Freiheit und Gleichheit nicht auf ihre Geschäftspraktiken in den Kolonien. Auch Baron Voght wusste aus eigener Anschauung wie dort mit den Menschen umgegangen wurde: 1834 beschrieb er bei einer Gelegenheit, im Zusammenhang mit den Hamburger Gängevierteln, diese als „elende Hölen“, in denen „Menschen, wie in Sklavenschiffen, beyeinander gepackt“ sind.
Zwischen 1785 und 1786 kaufte Baron Voght in Groß Flottbek Bauernhöfe und Ländereien. Auf dem 240 Hektar großen Gelände legte er nach englischem Vorbild eine „ornamented farm“ an, eine Mischung aus Parklandschaft und landwirtschaftlichen Flächen. Sie umfasste das Gebiet, auf dem sich heute der Jenischpark, der botanische Garten, der Derbypark sowie die Anlagen der Polo-, Tennis- und Golfclubs befinden. Der Besitz wurde zum „Mustergut“: Voght beschäftigte unter anderem Fachleute, die mit neuen Nutzpflanzen wie Kartoffeln, Klee und Zuckerrüben experimentierten und gründete eine Landwirtschaftsschule. Als sein Wohnsitz, ein altes Bauernhaus, 1793 abbrannte, beauftragte er den Architekten Johann August Ahrens (1757-1806) mit dem Bau seines neuen Domizils: „Kleyn, ländlich, trocken, warm und bequem“ sollte es sein – mit 15 Räumen, darunter einem Speiseraum für zwölf Personen, mehreren Gesellschaftszimmern und einem Bibliotheksbereich. Das Haus mit der umlaufenden, zweistöckigen Holzveranda wurde mehrfach angebaut und um einen Festsaal erweitert.
In dem Gebiet, auf dem die „ornamented farm“ angelegt wurde, gab es Wasserläufe, Hügel und Wälder. Die unterschiedliche Beschaffenheit wie Trockenheit auf dem Geestrücken und sumpfiges Gebiet in den Moorwiesen waren für die Anlage der Nutzflächen ungünstig. Hier musste aufwendig gedüngt, be- oder entwässert werden. In den Bereichen, die zur Parkanlage werden sollten, leisteten die Gegebenheiten hingegen der Idee des englischen Landschaftsgartens Vorschub: Durch ein ausgeklügeltes Wegenetz aus geschwungenen Pfaden erschlossen sich Parkbesuchenden immer neue Landschaftseindrücke, besondere Blickbeziehungen und überraschende Panoramen. Sogenannte Parkarchitekturen aus natürlichen Baumaterialien lenkten den Blick in bestimmte Richtungen oder betonten reizvolle Plätze. Dazu gehört auch die „Hohe Brücke“, die ursprünglich aus Baumstämmen und Ästen gefertigt war. Sie überspannt ein Tal, in dem bei ihrer Errichtung ein Landwirtschaftsweg verlief. Auch wenn die heutige Brücke eine mit Robinienholz verkleidete Stahlkonstruktion aus dem Jahr 2015 ist, wird sie immer noch als „Knüppelbrücke“ bezeichnet.
1828 verkaufte Baron Voght sein Landgut an den Kaufmann und Bausenator Martin Johann Jenisch (1793-1857), einen der vermögendsten Männer Hamburgs. Ihn interessierte nicht die Landwirtschaft, vielmehr suchte er einen Bauplatz für eine repräsentative Villa. Errichtet wurde sie 1831 bis 1834 nach Plänen des Hamburger Architekten Franz Gustav Forsmann (1795-1878) und unter Einbeziehung von Änderungsvorschlägen des Berliner Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781-1841). Es entstand ein klassizistisches Herrenhaus – ein sachlich anmutendes quadratisches Blockgebäude mit Flachdach und vergoldeten Ziergittern. Zur Gartenseite öffnet es sich mit dorischen Säulen und einer Freitreppe auf eine weit auslaufende Rasenfläche zur Elbe hin. Seit 1953 gehört das Jenisch-Haus zum Altonaer Museum. Im Erdgeschoss befinden sich repräsentative Säle und ein Café. In den oberen Stockwerken werden wechselnde Ausstellungen, insbesondere zur Kunst- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, gezeigt.
Was die neuen landwirtschaftlichen Gewächse für Caspar Voght bedeutet haben, waren für Martin Johann Jenisch die Zierpflanzen. Nördlich seiner Villa gab es die Wachsbleiche von Abraham Koopmann, in der unter anderem Kerzen hergestellt wurden. Jenisch erwarb sie, um an ihrer Stelle nach englischem Vorbild einen „Pleasureground“ anzulegen. Er bestand aus einem Blumengarten mit Lauben, in dem gerade entdeckte, damals noch seltene Pflanzen wie Dahlien, Geranien, Fuchsien und neue Rosensorten blühten. Dazu ließ der Senator Baumarten aus Süd- und Nordamerika importieren. In seiner botanischen Sammelleidenschaft, die damals ein Trend war, brachte er es 1855 zudem auf 875 verschiedene Orchideenarten. Ihnen verschaffte er in zwei Gewächshäusern optimale klimatische Bedingungen. Daneben ließ Jenisch das prächtige Palmenhaus errichten, in dem Kamelien wuchsen und Passionsblumen rankten. Die verglasten Eisenkonstruktionen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen und 1953 durch zeitgemäße Anlagen ersetzt
Seit 1962 gibt es im Jenischpark neben dem Jenisch Haus ein weiteres Museum: das Ernst Barlach Haus, gebaut nach den Plänen des Architekten Werner Kallmorgen (1902-1979) im Stil der klassischen Moderne. Es war das erste private Kunstmuseum Hamburgs und wurde von der Witwe des Hamburger Zigarettenfabrikanten Hermann F. Reemtsma (1892-1961) gestiftet. Dieser war ein großer Liebhaber der Werke des in Wedel bei Hamburg geborenen Bildhauers und Schriftstellers Ernst Barlach (1870-1938). Der expressionistische Künstler wurde seit den 1930er Jahren von den Nationalsozialisten verunglimpft. 1934 begann Reemtsma sein wichtigster Kunde zu werden und verhalf ihm dadurch, seine Arbeit fortzusetzen. Er kaufte Barlach bis zu dessen Tod 20 Skulpturen und etwa 100 Zeichnungen ab. Später kamen weitere Werke dazu. Das Museum verfügt heute über eine der bedeutendsten Barlach-Sammlungen, darunter etwa ein Drittel seiner Holzskulpturen.
Seit September 2017 gibt es im Jenischpark ein drittes Museum: das Eduard Bargheer Museum im Gebäude des ehemaligen Gartenbauamts. Eduard Bargheer (1901-1979) kam aus Finkenwerder, hatte ein Zeichenstudium in der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld in Hamburg absolviert und war Mitglied der Hamburger Sezession. Bald nachdem 1936 seine Bilder als „entartet“ aus der Kunsthalle entfernt worden war, zog er nach Italien. Er war verzaubert vom flirrenden Licht des Südens. 1953 kam er nach Deutschland zurück und pendelte fortan zwischen Blankenese und Ischia. Bargheer gilt als herausragender Künstler seiner Zeit: Seine Werke wurden 1948 und 1950 auf der Biennale in Venedig und den ersten beiden Documenta-Schauen in Kassel gezeigt. Seine Kunst begann im Expressionismus und mündete in einer „stark abstrahierenden, dennoch dem Gegenständlichen verbundenen Farb-Licht-Malerei “, wie es im Katalog zu einer Ausstellung 2005 in Wuppertal hieß. Jetzt kann sein umfangreiches Werk in Hamburg (wieder) entdeckt werden.
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