Von Birgit Gewehr
Für den jüdischen Kaufmann Siegfried Bondy bauten die Architekten Hans und Oskar Gerson 1908 das Haus in der Jungmannstraße 3. Vier Jahre später beauftragte Bondy die Gersons mit dem Bau des Nachbarhauses Jungmannstraße 1 für seine Tochter Nelly und seinen Schwiegersohn Manfred Zadik. Bis zum Ersten Weltkrieg entwarfen die Gerson-Brüder elegante Landhäuser, jedes ein Unikat und vorwiegend im reformierten Heimatschutzstil gehalten. Sie hielten fest an traditionellen Baumaterialien wie rotem Backstein, wandten sich aber ab von historisierender Architektur. Nach Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 mussten sowohl die Familien Bondy und Zadik als auch Oskar Gerson wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Deutschland fliehen.
Die von Hans Gerson (1881-1931) und seinem Bruder Oskar Gerson (1886-1966) entworfene Villa ist ein Zeugnis des Backsteinbaus der Hamburger Schule und steht unter Denkmalschutz. Direkt zur Straße präsentiert sich das Haus nur mit dem Giebel des Seitenflügels. Ein eingeschossiger Wirtschaftstrakt schließt im Winkel an einen nach hinten gelegenen Wohntrakt an, der zur Gartenseite hin zwei Geschosse hat. Ein rundes Erkertürmchen verbindet die beiden Flügel. Durch das winklig gestellte Gebäude ergibt sich ein Hof an der Nordseite mit einem Rundbeet und einem Brunnen des Bildhauers August Henneberger (1873-1961). Im Süden des Hauses gab es früher einen Tennisplatz, ein Gartenhaus und verschiedene Nutzgärten.
Das Landhaus Zadik hat einen Eingang mit einem Giebeldreieck und zwei Säulen. Es wurde nach dem Entwurf von Hans und Oskar Gerson in einem Halbrund angelegt, das sich in einer kreisförmigen Terrasse nach Südwesten hin zum Garten wendet. Roter Backstein und weiße Sprossenfenster verleihen dem Gebäude einen traditionellen Charakter. Doch der gerundete Grundriss war unkonventionell und betonte die Privatheit dieses inzwischen ebenfalls denkmalgeschützten Einfamilienhauses. Im Gegensatz zu den repräsentativen klassizistischen Villen vieler Kaufmannsfamilien bot dieses Haus der Familie und ihren Freunden Zurückgezogenheit.
Der aus Böhmen stammende jüdische Kaufmann Siegfried (früher Salomon) Bondy, geboren 1856, besaß ein erfolgreiches Kommissionsgeschäft für Mineralöle und Zucker aus Brasilien. Der liberale Freidenker zog 1908 mit seiner Familie aus Hamburg in das eigene Landhaus Jungmannstraße 3. Er und seine Frau Mary, geborene Lauer, führten das außergewöhnlich moderne und vielbewunderte Haus als Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle. Der Garten war ein Paradies für die Kinder und ihre Spielkameraden.
Herbert Bondy, geboren 1902, zog früh nach England und arbeitete als Chemiker. Nelly, die 1893 zur Welt kam, wohnte mit ihrem Mann Manfred Zadik, einem Rechtsanwalt jüdischer Herkunft, im Nachbarhaus der Eltern. Max Bondy, Jahrgang 1892, war Pädagoge. Er gründete die Reformschule Marienau bei Lüneburg. Die Zwillinge Curt und Walter kamen 1894 zur Welt. Curt Bondy, Psychologe und Jugendgefängnisleiter in Eisenach, wurde bekannt für seine Reform des Jugendstrafvollzugs. Er leitete nach dem Krieg das psychologische Institut der Universität Hamburg. Walter Bondy starb im Ersten Weltkrieg. Die meisten Familienmitglieder, mit Ausnahme von Curt Bondy, konvertierten zum lutherischen Glauben.
Siegfried Bondy starb 1932 und hinterließ seinen Kindern ein beträchtliches Vermögen. Doch die nationalsozialistischen Behörden sperrten die Konten und enteigneten die Erben. Die Villen wurden „arisiert“, das heißt, sie mussten nichtjüdischen Käufern zu einem Spottpreis überlassen werden. Max Bondy emigrierte schon 1936 mit seiner Familie über die Schweiz in die USA. 1941 entkam Manfred Zadik, dem als Rechtsanwalt Berufsverbot erteilt worden war, mit seiner Familie über Frankreich nach Guatemala und weiter in die USA. Vergeblich hatte er um die Auswanderung der als behindert eingestuften Verwandten Lydia Zadik gekämpft. Sie wurde 1942 im Ghetto Lodz ermordet. Curt Bondy kam aufgrund holländischer Proteste aus dem Konzentrationslager Buchenwald frei und konnte über Amsterdam in die USA fliehen.
Die Brüder Hans und Oskar Gerson hatten 1907 ein eigenes Architekturbüro in Altona eröffnet. Großen Erfolg hatten sie in den 1920er Jahren mit dem Bau von Hamburger Kontorhäusern, zum Beispiel dem Thaliahof, dem Ballinhaus (heute Messberghof) und dem Sprinkenhof. Hans Gerson starb 1931. Zwei Jahre später schlossen die Nationalsozialisten Oskar Gerson und seinen zweiten Bruder Ernst, mit dem er die Firma weitergeführt hatte, wegen ihrer jüdischen Herkunft aus dem Bund Deutscher Architekten aus, was einem Berufsverbot gleichkam. Oskar Gerson emigrierte 1938 über London in die USA, wo er ebenfalls als Architekt tätig war. Ernst Gerson floh nach Bulgarien und wanderte von dort später nach Neuseeland aus.
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