Von Birgit Gewehr
Seit 1896 produzierte die Dampfmarzipanfabrik L. C. Oetker in Othmarschen Marzipanrohmasse, Nougat und Nussmassen. Die Fabrik mit ihrem repräsentativen Kontorhaus und dem charakteristischen 40 Meter hohen Schornstein war über die Industriebahn an das Verkehrsnetz der Eisenbahn und des Hafens angeschlossen. Angetrieben wurde sie von zwei Dampfmaschinen, die im separat gelegenen Kesselhaus untergebracht waren. Die Produktion und die Umsätze stiegen stetig und so konnte das Gebäude erweitert werden. In den 1920er Jahren kam die Herstellung von Marmelade hinzu. Während des Zweiten Weltkrieges mussten an diesem Ort Zwangsarbeiter aus Osteuropa und sowjetische Kriegsgefangene arbeiten. Anfang der 1950er Jahre stellten die L. C. Oetker-Werke ihre Produktion ein. 1984 wurde der Schornstein gekürzt.
Der Konditor Louis Carl Oetker war ein Bruder von Dr. August Oetker, dem späteren Gründer der berühmten Backpulver- und Süßspeisenfabrik. Schon 1870 eröffnete L. C. Oetker ein eigenes Konditorei-Geschäft in der Altonaer Altstadt. Seine Spezialität wurde Marzipan - gefärbt und modelliert zu originellen, dekorativen Früchten, Blumen, Tieren und Figuren, die reißenden Absatz fanden. 1876 eröffnete er in Ottensen an der Flottbeker Chaussee eine kleine „Dampf-Marzipanfabrik“ mit angeschlossener Konditorei und einem Café mit Elbblick. Als er 1884 im Alter von nur 39 Jahren starb, übernahm sein Neffe Albert Oetker die Fabrik, die weiterhin unter dem Namen L. C. Oetker firmierte. Er erwarb auch das neue Produktionsgebäude in Othmarschen.
Für die Marzipanproduktion wurden Mandeln maschinell gesiebt, gereinigt und danach gebrüht. Anschließend wurden sie geschält, gequetscht und in großen Granitwalzwerken zerrieben. Im darauffolgenden Arbeitsgang wurden sie in sich drehenden Kupferkesseln unter Zusatz von Zucker gekocht und geröstet. Wenn sie abgekühlt war, wurde die Marzipanrohmasse in Holzkisten für den Versand an Konditoreien, Feinbäcker und Großhändler im In- und Ausland verpackt. Die Nusskerne kamen aus Neapel und den östlichen Mittelmeerländern. Durch die Fabrik verlief unterirdisch eine Transmissionsanlage. Die Wände waren mit Fliesen der Firma Villeroy & Boch gekachelt und die Fußböden mit italienischem Terrazzo ausgelegt.
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland aufgrund der Einberufungen zur Wehrmacht die Arbeitskräfte knapp. Das nationalsozialistische Regime beschloss den massenhaften Einsatz von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Häftlingen von Konzentrationslagern. In Hamburg waren es fast eine halbe Million. Die meisten von ihnen wurden aus den von Deutschland besetzten Gebieten der Sowjetunion und Polens deportiert. Während der Kriegszeit stellte die Sternwollspinnerei, die neben der Marzipanfabrik lag, Munition und Granaten her. Zur Firma L. C. Oetker hin gelegen befand sich ein firmeneigenes Zwangsarbeiterlager, geplant für 120 „Zivilrussinnen“, wie es hieß. Im Oktober 1944 gab die Firma 128 Frauen und 96 Männer als Lagerinsassen an. Auch die Marzipanfabrik beschäftigte Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangene.
Die Sternwoll-Spinnerei Bahrenfeld galt mit ihrer über 300 Jahre alten Geschichte als einer der größten und ältesten Betriebe in Altona. Sie entstand aus einer 1651 gegründeten Strumpf- und Wollwaren-Manufaktur und wurde mit der Zeit eine industrielle Textilfabrik. 1891 siedelte sich das Werk in Othmarschen an der Brahmsstraße, an der heutigen Griegstraße, gelegen im neuen Industriegebiet am Bahrenfelder Bahnhof. In der Mitte der Fabrik befand sich das Kesselhaus mit den Dampfmaschinen. Die Produktionsstätte wurde stetig modernisiert und erweitert. Seit 1920 hieß die Firma „Sternwoll-Spinnerei Bahrenfeld GmbH“, obwohl sie durchgehend zu Othmarschen gehörte. Nach 1932 firmierte sie unter dem Namen „Wollgarnfabrik Tittel & Krüger und Sternwoll-Spinnerei AG“.
Im Werkssaal des Spinnerei-Gebäudes und in der Zwirnerei wurde Rohwolle aus Holstein, England und Übersee zu dem bekannten „Sternwollgarn“ weiterverarbeitet. Diese Arbeit verrichteten überwiegend Frauen. Danach wurden die Garne für den Versand in alle Welt verpackt. Während des Zweiten Weltkrieges wurden bei der Bombardierung 1943 Teile der Fabrik zerstört. Nach dem Krieg nahm die Garn-Produktion rasch wieder Aufschwung. Mit dem Niedergang der Textilindustrie durch die Konkurrenz in Billiglohnländern in den 60er Jahren ging auch die Sternwollspinnerei in Konkurs. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, Friesenweg 5, befindet sich das ehemalige Kontorhaus der bis 1917 dort ansässigen „Friesenbrauerei“. Es steht unter Denkmalschutz.
Ebenfalls zum Industriegebiet am Bahrenfelder Bahnhof gehörte die Margarinefabrik Mohr. Johann Hinrich Mohr hatte zusammen mit seiner Frau Anna Luise schon 1890 eine „Margarine-, Cacao- und Kaffeefabrik“ eröffnet. Um 1900 war die Fabrik mit dem neuartigen Brotaufstrich „Mohra“ führender deutscher Margarinehersteller. 1904 zunächst von einer holländischen Firma aufgekauft, ging die Mohrsche Fabrik in der „Margarine Union“ und 1929 im Unilever-Konzern auf. 1994 wurden die Werksanlagen aufgegeben und vier Jahre später abgerissen. Heute befindet sich an ihrer Stelle das Wohnquartier „Othmarschen-Park“.
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