Von Birgit Gewehr
1742 errichtete Peter Röper in Oevelgönne ein giebelständiges Fachwerkhaus mit Tischlerei und Gaststätte. Bevor das heute denkmalgeschützte Gebäude 1949 umgebaut wurde, hatte es ein ausladendes Satteldach. Der Ort hieß ursprünglich „Fischerboden“. Er hatte sich seit Beginn des 18. Jahrhunderts zu einer Niederlassung von Fischern, Schiffern und Bootsbauern entwickelt. Im Zusammenhang mit dem Walfang in Grönland hatten sich auch Leimsiedereien und Trankochereien angesiedelt. Viele Fischer und Seeleute arbeiteten als Lotsen. Sie setzten auf ein- oder auslaufende Schiffe über und geleiteten sie über die Elbe. 1745 gründeten sie in diesem Haus die „Lotsenbrüderschaft zu Oevelgönne und Neumühlen“. Der Zusammenschluss regelte das Gewerbe und unterstützte in Not geratene Familien der Elblotsen.
Wechselnde Besitzer betrieben im 18. Jahrhundert in diesem ältesten Haustyp von Oevelgönne eine Sägemühle, eine Tabakfabrik und eine Leimsiederei, wo unter üblem Geruch die Abfälle des Walfangs verarbeitet wurden. Trotzdem blieb das Haus offenbar Vereinssitz der Lotsenbrüderschaft. 1801 wurde das beliebte Lotsenstammlokal zu einer öffentlichen Gaststätte. Um 1900 eröffnete im Erdgeschoss ein Milchgeschäft. Beim Umbau 1949 erhielt das Haus ein Krüppelwalmdach und einen neuen Giebel. Der Fensterbereich wurde schon vorher verändert. Heute gehört das „Lotsenhaus“ zu den ältesten Gasthäusern Hamburgs.
Das Fischerdorf Oevelgönne gehörte zunächst zu Othmarschen, war ab 1731 selbstständig und wurde 1890 wieder als Teil von Othmarschen nach Altona eingemeindet. Der Name leitet sich von "oevel gönnt" ("übel gegönnt") ab. Der Hintergrund ist nicht eindeutig überliefert. Entweder verweist die Bezeichnung auf Grenzstreitigkeiten, oder aber auf den Neid der Ottenser auf die Oevelgönner, die sich der Legende nach vor allen anderen wertvolles Strandgut aneignen konnten.
Ihr 150jähriges Bestehen feierte die Lotsenbrüderschaft, wie eine erhaltene Speisekarte dokumentiert, mit einem in damaligen Zeiten sehr feinen Menü: Zuerst gab es Schildkrötensuppe, als Hauptgänge Steinbutt und Rehrücken, anschließend Eis und Kaffee. Um die Wende zum 20. Jahrhundert verdienten die Oevelgönner Lotsen gut. Denn vor ihrem Wohnort lag die "Kuhl", ein tiefer Abschnitt des Elbfahrwassers vor Altona, wo einkommende Schiffe warteten, um sicher über die Untiefe des sogenannten Hamburger Sandes in den Hafen von Hamburg gebracht zu werden. Doch erst die selbstverwaltete Lotsenbrüderschaft sorgte dafür, dass die teils gewalttätigen Konkurrenzkämpfe unterblieben. Durch sie wurden auch ihre „Witwen oder hinterlassene Frauen“, Waisenkinder und alte oder arbeitsunfähige Lotsen finanziell unterstützt.
Es gab ein Abzeichen von 1748, das den Inhaber zum Lotsen autorisierte und ihn als Mitglied der Brüderschaft auswies. Bis zum Ersten Weltkrieg hing das „Lotsengeld“ vom Maß des Tiefgangs des jeweiligen Schiffes ab. Manchmal gaben Kapitäne einen niedrigeren Tiefgang an, um Lotsengeld zu sparen. So war das Lot ein wichtiges Messinstrument, auch um Schiffe in dem schwierigen und seichten Flussgewässer sicher zum Hafen zu führen. Bleilot und Tonne sind deshalb die alten Symbole der Lotsenschaft und auf dem Abzeichen abgebildet.
„Wenn er wach ist, grantelt er, und wenn er schläft, dann schnarcht er. Was er meint, ist richtig, und was er macht, ist wichtig“ (aus dem Plattdeutschen) hieß es über die Lotsen. Ihr Beruf war hochgeachtet, barg aber auch Gefahren. Viele Lotsen kamen ums Leben, wie der Oevelgönner John Möller, der um 1900 bei der Kollision eines englischen Dampfers mit einem norwegischen Segelschiff auf der Elbe starb. Die Brüderschaft forderte von den Schifffahrtsbehörden, Hindernisse, wie im Fahrwasser liegengebliebene Wracks zu beseitigen.
Georg Lührs stammte aus einer Lotsenfamilie. Im Bericht an das Wasserstraßenamt Hamburg notierte er: „Am 26.10.41 mittags fuhr ich als Lotse mit dem leeren Motorkahn "Ajax“ von Brunsbüttel aufwärts nach Hamburg. Um 14.00 Uhr bei Krautsand innerhalb der Asseler Sand Kreuztonne gab der Fischkutter ‚H.F.343, Katharina von Altenwerder’, mit ca. 1.500 Pfund frischen Fischen beladen, Notsignal. An Bord befanden sich der Schiffer und ein Junge. Das Schiff war 3/4 voll Wasser und wollte wegsinken. Wir nahmen das Schiff längsseits. Der Mk ‚Ajax’ hatte eine Motorpumpe an Bord, die sofort in Betrieb genommen wurde. Wir landeten den Fischkutter um 19.00 Uhr in Altenwerder an der Brücke.“
Am Fähranleger Neumühlen, gegenüber dem Lotsenhaus, befindet sich der Museumshafen Oevelgönne mit historischen Wasserfahrzeugen aus der Berufsschifffahrt: Lastensegler, Kutter, Dampfschiffe und die Ewer genannten Segelschiffe mit ihren charakteristischen Seitenschwertern. Eine Sehenswürdigkeit ist das feuerrote 1888 gebaute Signalschiff „Elbe 3“, das in der Wesermündung und zuletzt in der Elbmündung bis 1977 dem Schiffsverkehr Orientierung bot. Das Hafenbecken für den Oldtimer-Ankerplatz war durch den Bau des Autobahn-Elbtunnels entstanden. Anfang der 1970er Jahre gründete sich eine Interessensgemeinschaft der Traditionsfreunde und Besitzer historischer Segelschiffe, die diesen Liegeplatz 1977 eröffneten und privat die Restaurierung der Boote bewerkstelligten. Der Museumshafen Oevelgönne e.V. ist heute der älteste deutsche Museumshafen in privater Trägerschaft und mit vereinseigenen Schiffen.
Viele denkmalgeschützte Häuser und Katen aus dem 18. und 19. Jahrhunderts, kleine Fachwerk- und Backsteinbauten, sind entlang dem Fußweg erhalten geblieben. Mit ihren malerischen Fassaden haben sie dazu beigetragen, dass Oevelgönne heute einer der beliebtesten Spazierwege Hamburgs ist. Die ältesten Fischer- und Lotsenhäuser sind die langgezogenen eingeschossigen Häuserreihen wie Oevelgönne Nummer 65/66, gebaut um 1710, Nummer 72-75 aus der Zeit um 1730, und die zweigeschossige Häuserzeile mit den Nummern 40 bis 43, bezogen 1735. Mit zunehmendem Wohlstand entstanden um 1800 auch die stattlicheren Doppelhäuser wie Oevelgönne 54/55 und 99/100. Bemerkenswert ist das Haus Nummer 101/102 mit einer Veranda mit Jugendstilranken und das Haus 50/51 mit der ältesten, um 1839 errichteten Veranda mit zwei Rundbogenarkaden. Einige neuere Häuser mit gusseisernen Zäunen stammen aus der Zeit um 1900.
>Bis in die 1930er Jahre hatte Oevelgönne noch einen eigenen Bäcker in einem Gasthaus, in dem heute das Lokal „Zum Bäcker“ beheimatet ist. Milch bekam man bis 1949 im alten Lotsenhaus Oevelgönne 13. Im Haus Oevelgönne 59 befand sich bis 1962 ein Krämerladen.
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