Von Birgit Gewehr
1903 kaufte der Schriftsteller Otto Ernst die Villa in der Klein-Flottbekstraße 17. Turm und Giebel prägen die Ansicht dieses 1888 erbauten Gebäudes, das mit historisierenden Elementen verziert und mit Schiefer gedeckt ist. Putz, Mauerwerk und Rundbogenfenster sind klassische Bauelemente der Gründerzeit. Im Souterrain befanden sich Küche, Badezimmer und Waschküche. Zur Bauzeit waren im Erdgeschoss die „Gesellschaftszimmer“ vorgesehen – Empfangsraum, Billardzimmer, Bibliothek und Esszimmer. Zwei Zimmer im Dachgeschoss beherbergten die Dienstmädchen. Der bekannte Dichter konnte es sich leisten, seinen Lehrerberuf aufzugeben und sich mit seiner Familie in Othmarschen niederzulassen, wo er sich nur noch dem Schreiben widmete. 1929, drei Jahre nach seinem Tod, wurde die Straße nach ihm benannt.
Otto Ernst hieß mit bürgerlichem Namen Otto Ernst Schmidt. Er wurde 1862 als Sohn eines Zigarrenarbeiters in Ottensen geboren. Aus diesen einfachen Verhältnissen arbeitete er sich empor, besuchte das Lehrerseminar und erhielt 1883 eine Anstellung als Volksschullehrer in Hamburg. Als junger Mann stand Otto Ernst der Sozialdemokratie nahe und war reformerisch eingestellt. 1887 heiratete er seine Kollegin Helmy Scharge. Das Ehepaar bekam fünf Kinder.
Otto Ernst veröffentlichte Gedichte und Erzählungen. Er schrieb auch Romane und Dramen. Seine humoristischen und rührenden Texte verkauften sich gut. Die autobiographische Asmus-Semper-Trilogie beschreibt im ersten Band das Leben in Ottensen vor 1900. Sein erfolgreichstes Buch waren die Erzählungen „Appelschnut“, inspiriert von den Erlebnissen mit seiner Tochter Senta Regina. Die bekannteste seiner Balladen war die von „Nis Randers“, ein Gedicht über einen Lebensretter. Nach dem Helden dieser Geschichte benannte die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger 1990 einen Seenotkreuzer in Bremen.
Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd
Ein Schrei durch die Brandung!
Und brennt der Himmel, so sieht man´s gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sich´s der Abgrund.
Nis Randers lugt - und ohne Hast
Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen.“
Da fasst ihn die Mutter: „Du steigst mit nicht ein:
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will´s, deine Mutter!
Dein Vater ging unter und Momme. Mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!“
Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
„Und seine Mutter?“
Nun springt er ins Boot, und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.
Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern! Nein: es blieb ganz!
Wie lange? Wie lange?
Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Die schnauben und schäumen.
Die hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken der anderen springt
Mit stampfenden Hufen!
Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? - Ein Boot, das landwärts hält -
Sie sind es! Sie kommen!
Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt..
Still - ruft da nicht einer? - Er schreit´s durch die Hand:
„Sagt Mutter, ´s Uwe!“
Nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich Otto Ernst zu einem vaterländisch und „völkisch“ gesonnenen Publizisten, der die deutsche Kriegsschuld leugnete. Hatte er zuvor den Antisemitismus abgelehnt und Juden zu seinen besten Freunden gezählt, behauptete er nun, Juden würden das Kulturleben beherrschen und Nichtjuden herausdrängen. Freunde wandten sich von ihm ab, der Lehrerverein distanzierte ich von ihm und die Deutsche Friedensgesellschaft schloss ihn trotz seiner langjährigen Mitgliedschaft aus. 1926 starb Otto Ernst im Alter von 63 Jahren. Die Einrichtung seines Jugendstil-Arbeitszimmers wurde als Stiftung seiner Tochter Senta-Regina Möller-Ernst restauriert und im nahegelegenen Gymnasium Christianeum integriert. 2018 wurde es jedoch
wieder ausgebaut und
eingelagert.
Als Altona in der Mitte des 18. Jahrhunderts unter dänischer Herrschaft wirtschaftlichen Aufschwung nahm, entwickelte sich auch das kulturelle und geistige Leben. Der dänische König Christian VI. erweiterte 1738 die 1724 gegründete Altonaer Lateinschule zum staatlichen akademischen Gymnasium mit eigener Gerichtsbarkeit. Sechs Jahre später erhielt sie den Namen „Christianeum“. Sie war lange Zeit die führende Bildungsanstalt in den deutschsprachigen Landesteilen des dänischen Schleswig-Holstein und bereitete ihre Schüler auf das Universitätsstudium in Kopenhagen vor. Der dreiflügelige Barockbau befand sich in der heute nicht mehr existierenden Hoheschulstraße in Altona. Schon vom Jahr 1749 an wurden jüdische Schüler aufgenommen – zu einer Zeit, als Juden im Deutschen Reich noch keinen Zugang zu öffentlichen Schulen hatten.
Nachdem Altona 1890 preußisch geworden war, stiegen die Schülerzahlen. 1936 erfolgte unter den nationalsozialistischen Machthabern der Umzug aus der engen Altonaer Innenstadt in ein neues Schulgebäude an der heutigen Behringstraße in Othmarschen, die damals Roonstraße hieß. Der Altonaer Bausenator und Architekt Gustav Oelsner hatte das ursprünglich als Hochschule für Lehrer geplante Gebäude im Bauhaus-Stil entworfen. Der Unterricht begann nach den Ferien mit Fahnenappell und Hitlergruß. 1938 wurde jüdischen Kindern über 14 Jahren der Besuch von staatlichen mittleren und höheren Schulen untersagt. Doch schon vorher war für viele von ihnen, auch im Christianeum, der Schulalltag von antisemitischen Angriffen, Hass und Ausgrenzungen bestimmt.
Walter und Ludwig (genannt Lutz) Lichtheim, Söhne des Direktors der Altonaer Wasserwerke, waren Schüler des Christianeums. Wegen ihrer jüdischen Herkunft blieb ihnen das Abitur verwehrt. Walter musste die Schule 1936 mit der Mittleren Reife verlassen, Ludwig nach dem Novemberpogrom 1938, den gewalttätigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Seiner Mutter gelang es, Ludwig mit einem Kindertransport jüdischer Hilfsorganisationen nach England zu schicken. Der 19jährige Walter hatte den Transport begleitet, kehrte aber, da man seiner Mutter „Konzentrationshaft“ androhte, nach Deutschland zurück. Seine Auswanderungspläne nach Palästina scheiterten. 1941 wurde er zusammen mit seiner Mutter und seiner Tante ins Ghetto Lodz im deutsch besetzten Polen deportiert. Sie wurden im nahen Vernichtungslager Chelmno ermordet.
Ein historisches Erbe ist die 1738 eingerichtete Lehrerbibliothek, eine der ältesten, größten und vielfältigsten Gymnasialbibliotheken Deutschlands. Sie ist aus Schenkungen seit ihrem Bestehen erwachsen. Als das Christianeum Anfang der 1970er Jahre dem Einfahrttunnel der neuen Autobahn weichen musste, zog die Bibliothek mit in den heutigen Schulbau an der Otto-Ernst-Straße 34. Das Gebäude mit dem ebenerdig organisierten Grundriss und Atriumhöfen zwischen den Klassenräumen wurde nach Entwürfen der Architekten Arne Jacobsen und Otto Weitling gebaut. 1972 wurde es eingeweiht. Vor dem Haupteingang steht das barocke Sandsteinportal des Vorgängerbaus aus dem 18. Jahrhundert mit der Inschrift „in fine laus“ – „am Ende die Anerkennung“.
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Das Stadtteilarchiv Ottensen ist Forschungsstelle, Geschichtswerkstatt und Archiv zur Geschichte und Gegenwart von Altona und Ottensen in Hamburg.