Von Dr. Anke Rees
Durch seine ungewöhnliche Form und die prominente Lage ist er zu einem Wahrzeichen von Othmarschen geworden: Der „Halbmond“, 1795-1796 errichtet, ist eines der wenigen überlieferten Stallgebäude, die für den Betrieb großer Landhäuser nötig waren. Es gehörte zum Anwesen des englischen Kaufmanns John Thornton und korrespondierte mit der Villa auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Entworfen hatte es der königlich-dänische Landbaumeister Christian Frederik Hansen, der auch mehrere Häuser an der Palmaille geplant hat. Während 1913 das Haupthaus an der Elbchaussee 215 durch eine neoklassizistische Villa ersetzt wurde, blieb das halbrunde Wirtschaftsgebäude erhalten – allerdings nicht in der Originalausführung. 1820 wurde es nach einem Brand von Johann Matthias Hansen, dem Neffen des Architekten, wieder aufgebaut.
John Thornton (1764-1835) stammte aus einer wohlhabenden Bankiersfamilie in London. Er war „Courtmaster“ der Hamburger Niederlassung und Interessensvertreter reicher englischer Kaufleute mit vielen Zollprivilegien. 1794 erwarb er zwei Grundstücke an der Elbchaussee und beauftragte den dänischen Landbaumeister von Holstein, Christian Frederik Hansen (1756-1845), ihm darauf einen Landsitz zu errichten. Dieser entwarf ein schlossartiges Ensemble aus zwei Bauten in klassizistischem Stil, inspiriert von den Villen Palladios aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie waren so angeordnet, dass sich zwischen ihnen ein großer Hofplatz bildete. Auf der einen Seite wurde er eingefasst vom Wohnhaus, bestehend aus einem Zentralbau mit Säulenportal sowie zwei niedrigeren Seitengebäuden. Auf der anderen Seite befand sich das reetgedeckte, halbkreisförmige Wirtschaftsgebäude mit einem rechteckigen Mittelbau, der als Remise und Pferdestall diente, sowie zwei geschwungenen Flügelbauten mit Wohnungen für Kutscher und Gärtner.
Dass mitten über den Platz ein Weg verlief, der von Ottensen nach Blankenese führte, störte nicht. Dieser Vorläufer der Elbchaussee war bis Ende des 18. Jahrhunderts ein einfacher sandiger Feld- und Reitweg. Er verband die ländlichen Anwesen miteinander, die wohlhabende Hamburger Bürger und Kaufleute aus Altona hatten bauen lassen, und existierte bereits seit Beginn des 17. Jahrhunderts. In jener Zeit dienten die Landhäuser ihren Eigentümern nicht zu Wohnzwecken. Vielmehr ging es darum, sie an Bauern zu verpachten und sich die Erträge aus der landwirtschaftlichen Nutzung zu sichern. Erst ab 1780 begannen reiche Kaufmannsfamilien, sich prächtige Wohnsitze in der ländlichen und stadtnahen Idylle mit Blick auf die Elbe zu bauen. Es entstanden Villen wie die von John Thornton, die anderenorts als Schlösser bezeichnet werden würden. Die prächtigen Gebäude wurden zunächst als Sommerresidenzen genutzt, später als feste Wohnsitze. Einige der dazugehörigen Gärten sind inzwischen öffentliche Parkanlagen, so auch der von John Thornton angelegte englische Landschaftsgarten, der nach seinem letzten privaten Besitzer benannt wurde und daher heute „Schröders Elbpark“ heißt.
Dass die Eigentümer der Villen den Elbblick schätzten, hat einen bitteren Beigeschmack: Viele der Großsegler, die hier im 18. Jahrhundert vorbeifuhren, waren Teil des transatlantischen Dreieckshandels – europäische Waren gegen afrikanische Einheimische, die als Sklaven in Südamerika verkauft wurden, um auf Plantagen billig Zucker, Tabak und Rum zu erzeugen, Waren die wiederum zum Verkauf nach Europa verschifft wurden. Die meisten der im Einzugsbereich der Elbchaussee ansässigen Reeder und Kaufleute waren an diesem lukrativen Überseehandel beteiligt, der zum größten Teil auch ihren wirtschaftlichen Erfolg begründete. Sie profitierten von der Ausbeutung und der Gewalt gegen die Menschen in den Kolonien. Im Bild ist die Villa des Reeders Wilhelm Brand zu sehen, die 1817 errichtet wurde. Vor dem heute noch bestehenden Gebäude, das „Säulenhaus“ genannt wird, verläuft die in jener Zeit noch sandige Chaussee, die später zur Elbchaussee wurde.
Die Elbchaussee führt auf einer Strecke von achteinhalb Kilometern an den Villen und Landhäusern entlang. Da sie auf den Grundstücken der Villenbesitzer verlief, war sie lange Zeit ein Privatweg, der von den Anwohnenden selbst instand gehalten wurde. 1830 bauten sie die vormalige Landstraße aus und kassierten für die Instandhaltung an Sonn- und Feiertagen „Wegegeld“ von den Verkehrsteilnehmern. Dafür wurde auf Höhe des Hohenzollernrings ein Schlagbaum errichtet und ein Wärterhäuschen aufgebaut. Die zunehmend zahlreichen Fußgänger, die am Wochenende den Blick auf die Elbe und die prächtigen Häuser genießen wollten, mussten nicht zahlen. Zeitweise wurde die Elbchaussee sogar für den motorisierten Verkehr gesperrt. Nach der Eingemeindung Othmarschens 1890, kümmerte sich die damalige Stadt Altona um die Nutzung und den Ausbau der Strecke. Zur öffentlichen Straße wurde die Elbchaussee allerdings erst nach Entschädigungszahlungen an die Grundeigentümer in den 1950er Jahren.
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